Ausgebombt in Aleppo – angekommen in Sulzgries

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    Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie
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    Kinderzimmer im Provisorium (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)
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    Hassan Aljassem mit seinen zwei Jüngsten (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)
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    Die vier ältesten Kinder besuchen Esslinger Schulen (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)
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    Ein Herd für 13 Personen – Sanaa Mafouz in der Küche der Sammelunterkunft (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)

Dreieinhalb Jahre lang hat Familie Aljassem in Lagern gelebt – zunächst in Syrien, dann in Bulgarien, Schweden und Dänemark. Seit Juni ist die achtköpfige Familie nun in Esslingen-Sulzgries und möchte hier endlich ein neues Leben beginnen. Ihre abenteuerliche Geschichte ist auch ein Sinnbild der europäischen Flüchtlingspolitik.

Aleppo, Syrien, 7. März 2013: Eine Fliegerbombe trifft das Haus von Hassan Aljassem und macht es dem Erdboden gleich. Ein Video auf Youtube zeigt den Familienvater mit einem Neffen fassungslos auf den Trümmern des Gebäudes. Der gelernte Elektriker hat sich mit seiner Familie rechtzeitig ins Freie retten können – einen sicheren Keller gibt es nicht.

Deutschland, Oktober 2016: Wir treffen den heute 39-jährigen Hassan Aljassem und seine Frau Sanaa Mafouz in einer Gemeinschaftsunterkunft in Esslingen-Sulzgries. Hier lebt das Ehepaar mit seinen sechs Kindern in drei kleinen Zimmern. Der Raum, in dem wir empfangen werden, ist blitzblank geputzt, kaum ein persönlicher Gegenstand ziert die rohen Holzwände. Diese Aufgeräumtheit lässt kaum erahnen, was die achtköpfige Familie hinter sich hat: eine mehr als dreijährige Odyssee durch Syrien und Europa.

Leben aus dem Koffer – Kinderzimmer in der Gemeinschaftsunterkunft (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)

Leben aus dem Koffer – Kinderzimmer in der Gemeinschaftsunterkunft (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)

Die Geschichte klingt schier unglaublich: Nach der Zerstörung ihres Hauses mussten die Aljassems zunächst in einem syrischen Flüchtlingslager kampieren, bevor sie Anfang 2014 über die Türkei teils zu Fuß nach Bulgarien flohen. Die Lebensbedingungen dort waren jedoch so schlecht, dass sich das Ehepaar nach acht Monaten mit seinen Kindern auf den Weg nach Schweden machte. Nach mehr als einem Jahr in einem schwedischen Lager – die älteren Kinder gingen bereits zur Schule – sollte die Familie plötzlich wieder zurück nach Bulgarien. In Dänemark wurde sie jedoch von der Polizei aufgegriffen und verbrachte dort weitere acht Monate in einem Camp. Im Mai 2016 erreichten Hassan Aljassem und Sanaa Mafouz mit ihren Kindern schließlich über Frankfurt die Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten.

Seit Juni lebt Familie Aljassem nun in Esslingen. Hier will sie endlich zur Ruhe kommen und sich ein neues Leben aufbauen. Die Eltern sind mittlerweile als Flüchtlinge anerkannt und lernen Deutsch, vier Kinder besuchen Esslinger Schulen – darunter auch der 14-jährige behinderte Ali, der in der Rohräckerschule untergekommen ist.

Die vier ältesten Kinder besuchen Esslinger Schulen (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)

Die vier ältesten Kinder besuchen Esslinger Schulen (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)

Dennoch wirkt Hassan Aljassem ungeduldig und zermürbt. Das Leben in der hölzernen Unterkunft mit Gemeinschaftsküche und einer Dusche für 13 Personen zerrt an den Nerven. Wie gerne würde die Familie endlich wieder in eigene vier Wände ziehen. Doch der Wohnungsmarkt ist angespannt – und für Neubürger aus fremden Ländern schwer zu durchschauen. Das machen sich auch windige Geschäftemacher zunutze, die den Geflüchteten gegen Zahlung von 2.000 Euro eine Wohnung versprechen.

„Wir bemühen uns nach Kräften, die Menschen bei der Wohnungssuche zu unterstützen und Kontakte zu Vermietern zu knüpfen“, sagt Petra Schaback vom Team Wohnungssuche der Initiative Gemeinsam für Flüchtlinge in RSKN. Im Fall der Familie Aljassem seien die Anstrengungen bislang allerdings erfolglos geblieben. Dabei werde die Miete doch vom Jobcenter getragen und sei damit staatlich garantiert.

Ein Herd für 13 Personen – Sanaa Mafouz in der Küche der Sammelunterkunft (Toto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)

Ein Herd für 13 Personen – Sanaa Mafouz in einer Küche der Sammelunterkunft (Foto: Timo Falkner, TUT6 Fotografie)

Sanaa Mafouz seufzt. Sie ist gesundheitlich angeschlagen und der Arzt hat ihr Ruhe verordnet – ein Ding der Unmöglichkeit in der beengten Sammelunterkunft. Trotzdem wollen sie und ihr Mann die Hoffnung nicht aufgeben. Ohne Hoffnung hätten sie all die Gefahren und Strapazen der letzten Jahre nicht durchgestanden.

Draußen vor der Tür rast die 12-jährige Aisha auf Inlineskates den Hang hinunter und kommt mit einem eleganten Bogen sicher zum Stehen. „Das habe ich in Dänemark gelernt“, ruft uns die zweitälteste Tochter des Ehepaars zu. Was denn ihr größter Wunsch sei, wollen wir wissen. „Dass wir endlich eine Wohnung finden. Und dann möchte ich studieren und Lehrerin werden.“ Wer sie so stehen sieht, selbstbewusst die Hände in die Hüften gestemmt, der hat keinen Zweifel: Sie wird ihren Weg machen.

Das Gespräch führten Jörg Exner und Rukaia Cheick Hassan (Übersetzung).

Wohnraum gesucht!
Vom Single über das Geschwisterpaar bis zur Großfamilie – zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft in Sulzgries suchen eine Wohnung. Sie möchten Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung stellen? Die Initiative Gemeinsam für Flüchtlinge in RSKN berät Sie gerne und stellt den Kontakt zu Wohnungssuchenden aus der Kornhalde her. Kontakt: wohnraumsuche@fluechtlinge-rskn.de.

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