Safa und Reem

Trendige Kleidung, Sportschuhe, Kopftuch, Make-up und ein fröhliches Lachen: Das sind die 18-jährige Safa und ihre fünf Jahre ältere Schwester Reem, zwei ganz normale junge deutsche Frauen. Reem ist im dritten Ausbildungsjahr zur Medizinischen Fachangestellten und hat in der Onkologie des städtischen Klinikums ihren Traumberuf gefunden. Safa überlegt noch, ob sie nach dem Abschluss am Berufskolleg Lehrkraft werden oder Innenarchitektur studieren soll.
Was den Schwestern nicht anzusehen ist: Trotz ihres jungen Alters haben sie schon viel durchgemacht. Denn die beiden sind 2013 aus dem syrischen Aleppo geflohen. Reem war 12 Jahre alt, als eine Bombe das Haus der Familie in Schutt und Asche legte. Mit ihren Eltern und vier Geschwistern machten sie sich auf den Weg in die Türkei, dann weiter zu Fuß nach Bulgarien. Sie übernachteten im Wald, wurden in Lager gesperrt, überstanden den Messerangriff eines Rassisten und kamen in halb Nordeuropa herum. Immer dabei: Reems mehrfachbehinderter Zwillingsbruder. Drei Jahre dauerte die abenteuerliche Flucht, bis die achtköpfige Familie 2016 schließlich nach Esslingen kam.
Durch Vermittlung Ehrenamtlicher konnte sie schon ein halbes Jahr später aus der Gemeinschaftsunterkunft in ein altes Reihenhäuschen ziehen, ein großer Schritt in eine neue Normalität. Safa und Reem schauen ohne Verklärung zurück: »Wir sind reifer geworden«, sagt Reem. Und sie haben den großen Zusammenhalt in der Familie erlebt, der sie bis heute trägt. Mit Syrien verbindet Reem noch viele Kindheitserinnerung, aber wie ihre Eltern und Geschwister zieht es sie nicht dorthin zurück.
Wie alle Menschen, die woanders neu anfangen, kamen Safa und Reem nicht mit leeren Händen. Sie brachten Werte und Traditionen mit, die ihnen sehr wichtig sind. Das kann zu Konflikten führen. Doch die Eltern sind sich sehr bewusst, dass das Leben in Deutschland anders ist, und lassen ihren Kindern viel Freiraum. So betont Safa, dass das Kopftuchtragen ihre ganz persönliche Entscheidung gewesen sei: »Das ist eine Sache zwischen mir und meinem Gott.« Genauso wie die, sich sorgfältig zu schminken. Da lasse sie sich auch nicht reinreden. In ihrer bunten Schulklasse hat sie mit dieser Einstellung keine Akzeptanzprobleme.
Das ist nicht überall so. Aus der Pflege kommen immer wieder Berichte über Diskriminierung. Doch Reem kann sich nur an einen einzigen Fall erinnern, als sich eine Patientin wegen ihres Kopftuchs nicht von ihr helfen lassen wollte. »Ich bin dann einfach aus dem Zimmer gegangen.« Gerade für Ältere sei es oft erst einmal ungewohnt, die meisten reagierten aber neugierig und offen. »Ich liebe die Arbeit mit den Menschen.« Safa und Reem sind beide deutsche Staatsbürgerinnen. Ob sie wählen wollen? »Ja, natürlich! Aber wen?« Sicher ist: Diese jungen Frauen kennen die Lebensrealität in Deutschland besser als so manche, die sich gerade mit markigen Sprüchen um ein politisches Amt bewerben.