Ola
Freiheit fällt nicht vom Himmel, sie muss permanent erkämpft werden. Und das ist nicht ohne Risiko. Als Ola sich im Oktober 2015 entschloss, frisch verheiratet mit ihrem Mann vor dem Krieg aus Syrien zu fliehen, war es ein Weg ins Ungewisse. Würden sie ihn überleben?
Heute wohnt die junge Frau mit ihrer Familie in Esslingen-Sulzgries. Die beiden Töchter sind hier geboren, die älteste geht schon zur Schule. Olas Mann steht vor der Abschlussprüfung zum Einzelhandelskaufmann, sie selbst hat gerade eine Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten begonnen. In Syrien hatte sie Religionswissenschaft studiert und als Lehrerin gearbeitet. Doch der Weg in den Schuldienst in Deutschland ist lang. Da war es wohl ein Wink des Schicksals, dass Olas Zahnarzt ihr im Behandlungsstuhl einen Ausbildungsplatz anbot.
An Deutschland schätzt Ola, dass Frauen zum Beispiel entscheiden können, ob sie Kinder haben möchten und wie viele. Ihr Kopftuch hat sie vor einigen Jahren abgelegt, auch wenn manche Bekannte deshalb den Kontakt zu ihr abgebrochen haben. »Ich bin die gleiche Ola und habe immer noch meinen Gott«, sagt sie. In Syrien sei das Kopftuchtragen normal und biete Frauen sogar einen gewissen Schutz. In westlichen Gesellschaften werde man dagegen oft auf das Kopftuch reduziert: »Du wirst nicht mehr als Individuum wahrgenommen.« Auch rassistische Anfeindungen hat sie schon erlebt.
Ola ist es wichtig, ihre Meinung äußern zu können. Das politischen Geschehen verfolgt sie allerdings kaum. Sie ist in einer Diktatur aufgewachsen und hat Politik als Machtkampf einiger Weniger erlebt, bei dem die Einzelnen nichts zählen. Und die Parteien in Deutschland tun wenig, ihr eine andere Sicht zu vermitteln. Im Gegenteil: Die entfesselte Migrationsdebatte zeigt auch bei Olas Familie Wirkung. Wie viele Menschen mit Fluchtgeschichte sind sie verunsichert und haben Angst.
Doch die Probleme des Alltags lassen wenig Zeit zum Grübeln. Trotz frühzeitiger Anmeldung hat die Dreijährige noch immer keinen Betreuungsplatz. Für die Eltern heißt das: Olas Mann arbeitet morgens ab 5:00 Uhr sowie am Samstag und Sonntag, sie ist bis abends in der Praxis oder Berufsschule. Wie lange sie das noch durchhalten, weiß Ola nicht.
Allen Widrigkeiten zum Trotz ist Ola froh über ihr neues Leben. Ihre Schwester lebt unter elenden Bedingungen weiter in Damaskus. Sie hatte sich 2015 aus Angst gegen die Flucht nach Europa entschieden. Wird sie noch ein Türchen zur Freiheit finden? Ola wünscht es ihr sehr.